Der Prozess I
„Der Prozess“ ist als Roman, geschrieben 1925 von Franz Kafka, vielen schon aus der Schulzeit vom Deutschunterricht bekannt. K. befindet sich in einer grotesken, irrealen Welt, in der es keine Grundrechte gibt. Sein Prozess endet mit seiner Hinrichtung.
Im Sommer 2020 erhielt ich telefonisch die Nachricht, dass ich mich nach 16 Jahren, in denen ich als Vertretungslehrerin von der Grundschule, über Hauptschule, bis zum Gymnasium unterrichtet hatte, nicht mehr bewerben dürfe. Dieses Berufsverbot kam mir doch sehr seltsam vor. In diesem Zusammenhang ist das erste einer Bilderserie entstanden.
Der Prozess II
Der Prozess beginnt. Der Richter ruft uns herein. Der Anwalt und ich sind da. Wegen der Pandemie haben wir Mundschutz auf und sind durch Scheiben getrennt. Der Richter runzelt die Stirn und fragt, ob wir allein sind. Vom Land ist niemand da. Der Richter beginnt, da geht die Tür auf. Hereinkommt eine Person und sagt: „Oh, ich bin vom Land, ich bin zu spät.“ … Ohne Worte…
Der Prozess III
Der Prozess geht weiter. Wir sind in einem anderen, größeren Raum. Der Richter ist nun zu Dritt. Die Gesichter sind nicht zu erkennen. Alles verschwimmt, und ich, – obwohl ich zum Prozess gekommen bin – , bin auf dem Bild nicht zu sehen. Ich scheine mich aufgelöst zu haben, denn es geht nur um Zählweisen: Zu viele Verträge – zu wenige, alles legt die Person vom Land gegen mich aus. Es ist nicht mehr „ich bin vom Land, ich bin zu spät“, sondern jemand, der wie ein Türsteher aussieht, wie aus Kafkas Prozess entsprungen. Die ganze Situation ist kafkaesk: Wir alle tragen Mund-Nasen-Schutz und sind zusätzlich durch Scheiben getrennt wegen der Pandemie. Die einzige Person, die es nicht nötig hat, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, ist der Türsteher vom Land. Er schaut die ganze Zeit zur Tür, grüßt nicht und hält keinen Blickkontakt. Das Einzige, das von ihm kommt, ist „Nein“.
Trotz der albtraumhaften Situation ist zu merken, dass der Richter auf unserer Seite ist. Doch es ist klar: Entscheidet er für uns, wird das Land so lange prozessieren, bis ein neuer Richter für das Land entscheidet.
Der Richter dringt daher auf eine Einigung, eine Abfindung. Das, was mein Anwalt vorschlägt, wischt der Türsteher mit einer Handbewegung weg.
Wir werden auf eine lächerliche Abfindung heruntergehandelt. Als wir uns schließlich einverstanden erklären, meint der Türsteher, dafür habe er vom Land gar nicht „das Go“. In meiner Phantasie springt der Richter über den Tisch. Natürlich passiert das nicht. Dieser atmet tief durch, runzelt die Stirn und gibt dem Land zwei Wochen Frist für einen Widerspruch.
Der Widerspruch kommt nicht. Das Geld jedoch auch nicht. Es dauert bis ins neue Jahr, dass es samt Abrechnung doch kommt.
Epilog
Am 8. März sagt die Bildungsministerin in einem Interview „Studierende und pensionierte Lehrkräfte sollen den Schülern helfen, das Versäumte an den Schulen aufzuholen.“
Denn die Schüler*innen sollen nun wieder, trotz Pandemie, in die Schule.
Nach der Erfahrungen im Prozess, frage ich mich, warum Menschen, die, trotz Pandemie, an den Schulen arbeiten wollen, eher eine Abfindung erhalten, als weiter eingestellt zu werden. Aber es scheint zum einen um Kosten zu gehen, denn „Studierende und pensionierte Lehrkräfte“ sind billiger als Menschen einzustellen, die seit 16 Jahren an Grund-, Hauptschule und Gymnasium unterrichteten. Die werden offensichtlich zu teuer. Zum anderen sind Menschen, die nicht ins Konzept passen, nicht erwünscht, da zu divers.
Soll Bildung also lieber ehrenamtlich erfolgen? Bildung? Welche Bildung???
2021, Ölfarbe auf Leinwand, je 40×50 cm